Geschichten aus 60 Jahren WGF
1954-59

Die Gründung der AWG „Fortschritt“ Döbeln

Die heutige Wohnungsgenossenschaft „Fortschritt“ Döbeln eG mit 1741 Mitgliedern per 31.12.2013 und einem modernen Wohnungsbestand von 1695 Wohnungen in den Wohngebieten Döbeln Ost I, Döbeln Ost II, Döbeln Nord, Bahnhofstraße und Ostrau geht aus der am 27. August 1954 gegründeten Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) „Fortschritt“ Döbeln hervor.

Wie entstand die damalige AWG „Fortschritt“ Döbeln?

Die Wohnungsnot in der Nachkriegszeit war auch in Döbeln sehr groß. 1954 gab es in Döbeln 1196 Wohnungssuchende. 1953 wurde mit der Verordnung „Über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter“ die Grundlage für die Bildung von Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften in der DDR geschaffen.
Mit Unterstützung der örtlichen Entscheidungsorgane, dem Rat des Kreises Döbeln und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes ging die Initiative zur Gründung einer
Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft in Döbeln, insbesondere von dem Volkseigenen Großbetrieb Metallbau (später VEB Döbelner Beschläge- und Metallwerk) und dem Volkseigenen Großbetrieb Decenta (später VEB Florena) aus.
Das ausgearbeitete Statut wurde einstimmig bestätigt.


Das Bauvorhaben

Vom damaligen Rat des Kreises Döbeln wurde der neugegründeten AWG „Fortschritt“ Döbeln eine Baufläche zwischen Dresdner Straße und Sörmitz angeboten. Für eine endgültige Nutzungsbestätigung mussten 21 Lagepläne für diese angebotene Fläche erarbeitet werden. Die Nutzungsurkunde für das Bauland wurde der AWG vom Rat des Kreises überreicht. Nun konnte das Bauvorhaben geplant und realisiert werden. Die Betriebe Landmaschinenbau „Rotes Banner Döbeln“ und der Volkseigene Betrieb DBM unterstützten die AWG durch Paten- und Trägerschaften bei diesem großen Bauvorhaben.
Der gewählte Vorstand der AWG kümmerte sich um die Organisation dieses
Wohnungsbauvorhabens und das ehrenamtlich in seiner Freizeit.


Verdiente Genossenschaftsmitglieder

Kurt Haase

Der erste aktive Vorsitzende der neugegründeten AWG Döbeln war Kurt Haase. Beruflich arbeitete er als Direktor der Handelsorganisation (HO) Döbeln. Für die aktive Mitgestaltung der AWG in den Gründerjahren erhielt Kurt Haase am 11.12.2010 die Ehrenmitgliedschaft der WGF und trug sich in das Goldene Buch der Genossenschaft ein.
Nachdem die Grundlagen zum Aufbau der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft geschaffen waren, begann das große Bangen und Hoffen, ob es den Mitgliedern gelingt, in kurzer Zeit die ersten Wohngebäude zu errichten.
Dafür übernahm jeder eine hohe persönliche Verantwortung und stellte sich dieser schwierigen Aufgabe.

Fritz Heinrich

Fritz Heinrich schrieb sich mit der Mitgliedsnummer 18 bei der Genossenschaft ein. Heute ist er das älteste Genossenschaftsmitglied in unserem Bestand. Mit bewegenden
Bildern schildert er den Aufbau der ersten Häuser in der Blumenstraße. Als gelernter Bäcker arbeitete er in der Konsumbäckerei Döbeln. Deshalb fiel es ihm oft nicht leicht, die schwere körperliche Arbeit im Rahmen der Eigenleistung für das Wohnhaus Friedrich-Engels-Straße 4-6 zu verrichten. Aber mit dem Ziel im Kopf eine eigene Wohnung zu besitzen, wurden gemeinsam mit seiner Frau Adelheid buchstäblich Berge versetzt.


Erfahrungsaustausch zu den Gründerjahren

Am 08.11.2010 wurden mit den aktiven Ehrenmitgliedern Herrn Günter Schödel, Herrn Klaus Schellenberg, Herrn Ernst Hunger und Herrn Rolf Ehlert sowie Herrn Kurt Haase und unserem Chronisten Herrn Siegfried Heymann ein intensiver Erfahrungsaustausch zu den Gründerjahren durchgeführt. Jeder konnte mit vielen Emotionen seine eigenen Erinnerungen an diese Zeit wiedergeben.

„Insbesondere die Betriebe Landmaschinenbau, „Rotes Banner Döbeln“ und VEB DBM unterstützten die AWG bei der Lösung der schwierigen Probleme. Mit vielen Arbeitsstunden nach der täglichen Berufstätigkeit halfen aktive Mitglieder teils
unter primitiven Bedingungen und teils auch bei schlechtem Wetter ihren Wohnungsbau mit zu beschleunigen. Mit Holzschubkarren, von Hand oder mit dem Spaten getätigte Erdarbeiten, Arbeiten im Steinbruch und anderen körperlich schweren Tätigkeiten wurde die Voraussetzung für den Bau der Häuser und der Infrastruktur für Wasser und Strom geschaffen. Gebaut wurde in monolithischer Bauweise, d. h. Stein auf Stein. Die Ziegelsteine waren mitunter 5. Wahl. Geputzt wurde mit Zement und
Mischbinder. Etwas Besseres war öfters nicht aufzutreiben. Trotz aller dieser widrigen
Umstände wurde zügig gebaut.“

Maria und Joachim Kunze

Auch Maria und Joachim Kunze aus der Blumenstraße 54 erinnern sich sehr deutlich an die Gründerzeit. Mit der Mitgliedsnummer 56 trat Herr Joachim Kunze am 23.11.1955 in die AWG ein. Damals wohnten beide in Westewitz und sehnten sich nach einer neuen
Wohnung. Frau Kunze arbeitete in der Klinik in Westewitz und Herr Kunze als Elektriker im DBM. Sie erinnern sich noch sehr genau an die ersten Jahre des Aufbaus. Das Ziel bestand damals nicht nur darin, die nötigen Aufbaustunden zu leisten, sondern möglichst viele Stunden in möglichst kurzer Zeit zu realisieren.
Da lag die Idee nah, um Hilfe z. B. auch in der Klinik Westewitz zu bitten. So gelang es mehrere Freiwillige für Hilfsarbeiten zu organisieren, die u. a. die Erdarbeiten, Hilfsarbeiten am Bau oder auch das Tragen der Dachziegel vom LKW bis auf den Dachboden durchführten. Die Hausfrauen sorgten für eine geordnete Mahlzeit und natürlich fehlte dabei auch nicht die eine oder andere Flasche Bier. Herr Kunze berichtet:

„Ich brauchte meine Stunden nicht mit der Schaufel abarbeiten, sondern konnte in Ausübung meiner Tätigkeit als Elektriker die Hausinstallation durchführen“.

Das der ganze Bau am Ende ein solides Wohnhaus wurde, lag in den Händen des Bauleiters Gustav Wahsner. Er organisierte mit den Trägerbetrieben das Material und setzte die Bauleute und die vielen Hilfen zielgerichtet ein. Dann kam der große Moment der Verlosung der Wohnungen. Im Haus 54 gab es keine Probleme und so konnten im August 1958 die Wohnungen in Besitz genommen werden.

Nur mal zum Vergleich:
Miete: 35,00 Mark
Antennengebühr: 1,00 Mark
3 Kohleöfen, Wohnzimmer, Küche, Kinderzimmer Gasanschluss für Durchlauferhitzer und Heizkörper im Bad


Das genossenschaftliche Zusammenleben

Mit dem Einzug war die Arbeit nicht getan. Es war allen klar, es muss auch das Umfeld gepflegt und in Ordnung gehalten werden. Im Haus Blume 54 hatte es sich Hans Kluge als ältestes Mitglied zur Aufgabe gemacht, die Aktionen zu steuern. „Dies führte soweit, wenn ein Mieter nicht pünktlich zur vereinbarten Zeit zur Stelle war, wurde er auch gleich mal unsacht geweckt, auch wenn er erst in den Morgenstunden nach einer feucht fröhlichen Nacht nach Hause gekommen war“, so Joachim Kunze. Ein Bild ist in ganz besonderer Erinnerung geblieben, schilderte Herr Kunze:

„Von der Straße zur Haustür waren Bretter gelegt, damit man trockenen Fußes ins Haus kam. Links und rechts davon waren große Pfützen. Als eines Tages eine Mieterin in toller Ausgangskleidung mit hochhackigen Schuhen über diesen „Laufsteg“ lief, rutschten die Bretter weg und sie fiel rücklinks in die große Pfütze …“

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. So nach und nach nahm das Umfeld einen ordentlichen Zustand an. Es wurde gekehrt, begrünt und alles stets in Ordnung gehalten. Für Joachim und Maria Kunze ist das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Achtung der Arbeit des Einzelnen und der Gemeinschaft ein wichtiges
Bindeglied des genossenschaftlichen Zusammenlebens.


Ein Dank

Optimistische und aktive Mitglieder der AWG Döbeln halfen durch ihren selbstlosen Einsatz bei der Planung und Realisierung des Genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Es gab aber auch viele abwartende, pessimistische Menschen. Sie verfolgten kritisch, wie die AWG das große, schwierige Vorhaben meistern würde. Deshalb gab es nicht nur Eintrittsbekundungen in die AWG Fortschritt Döbeln, sondern auch wieder Austritte von denjenigen, denen es nicht schnell genug ging. Gleichzeitig scheuten sie den notwenigen
eigenen Einsatz. Die folgenden Jahre zeigten aber, dass mit Fleiß und starkem Willen relativ schnell unter damaligen Verhältnissen Wohnraum geschaffen wurde.

Den Aktivisten der ersten Stunde sei dafür gedankt.