Geschichten aus 60 Jahren WGF
1970–74

In Döbeln entsteht ein zweites Neubaugebiet – Die AWG ist dabei

Anfang der siebziger Jahre bestand noch erheblicher Wohnungsbedarf in Döbeln mit 1440 Wohnungssuchenden. Auch die AWG hatte 1972 792 Mitglieder ohne Wohnung. Weiterer Wohnungsneubau in Döbeln war dringend notwendig. Auf der Grundlage eines Beschlusses des Rates des Bezirkes Leipzig zum weiteren Wohnungsneubau im Bezirk Leipzig konnten die Döbelner Stadtverordneten dazu beraten und haben beschlossen, ein zweites Neubaugebiet in Döbeln zwischen Dresdener Straße und dem Amselgrund zu errichten. Auf dieser Fläche befanden sich Gartenanlagen und landwirtschaftliche Anbauflächen. Auf Grund des Döbelner Beschlusses wurde dieses Gebiet für den Wohnungsneubau vorbereitet bis hin zur Planierung der Fläche.

Döbeln Ost II

Das zukünftige Neubaugebiet erhielt die Bezeichnung Döbeln Ost II. Als Voraussetzung für den Baubeginn mussten in den bereits vorhandenen Planvorgaben mehr Baukapazitäten eingeplant und auch zusätzliche Kapazitäten für mehr Baumaterial bewilligt werden. Das Baugeschehen konnte noch im Jahr 1970 mit der Straßenerschließung beginnen und 1971 mit dem Bau der ersten Blocks.

Bereits 1971 konnten die ersten Wohnungen auf der damaligen Leninstraße (heute Unnaer Straße) an die Döbelner Gebäudewirtschaft als Vermieter übergeben werden.

Der geplante Bauablauf und die Einhaltung der Termine wurde durch Vertreter der SED-Kreisleitung und örtlicher Organe vor Ort überprüft und im Kreistag sowie in der Stadtverordnetenversammlung bereitet. Insbesondere mussten die verantwortlichen Bauleiter dort selbst Rede und Antwort stehen.

War im AWG-Wohngebiet Döbeln-Ost I noch monolithisch gebaut worden, so entstanden Wohnblöcke in Döbeln-Ost II in Plattenbauweise (sog. Kleinplatte).

Die stahlbewährten Betonplatten wurden im Betonwerk Naunhof bei Leipzig hergestellt. Der VEB Rationalisierung Döbeln baute zusätzlich zu seinem Jahresplan dazu Stahlgießformen, und bekam dafür Wohnungskontingente für
Döbeln-Ost II zur Verteilung an Betriebskollegen über die zuständige betriebliche Wohnungskommission.

Das neu entstehende Wohngebiet Döbeln Ost II war kein reines AWG-Wohngebiet. Die AWG Döbeln und die Döbelner Gebäudewirtschaft (später DWVG) erhielten entsprechende Blöcke mit Neubauwohnungen zugesprochen.


Einzug

Bevor Wohnungen bezogen werden konnten, erfolgte eine Bauabnahme. Es kam öfters vor, dass Nachbesserungen erfolgen mussten und eine Schlüsselübergabe erst ca. 4 Wochen danach erfolgen konnte. Vor der Schlüsselübergabe mussten die AWG-Mitglieder je nach Wohnungsgröße Arbeitsstunden leisten und Genossenschaftsanteile einzahlen. Bei einer 2-Zimmer-Wohnung waren das 450 Arbeitsstunden und 1800 Mark. Zur Schlüsselübergabe wurden die Wohnungen vor dem Hauseingang ausgelost. Als Ausnahme konnten Behinderte die Erdgeschosswohnung vorher beantragen. Diejenigen Mitglieder, mit den am meisten geleisteten Stunden, durften zuerst in den Lostopf greifen. Am begehrtesten war auch damals die erste Etage.

Ende 1974 besaß die AWG in Döbeln-Ost II 150 Wohnungen, also die gesamte Fritz-Pawlowski-Straße 1-16 (heute Nossener Straße). Damit stieg der Wohnungsbestand der AWG auf insgesamt 938 Wohneinheiten. Trotzdem gab es noch viele AWG-Mitglieder ohne Wohnung.


Erinnerungen von Siegfried Heymann

Familie Heymann zog mit ihrer Tochter Anfang Dezember 1972 in eine 2-Raumwohnung auf die Fritz-Pawlowski-Straße. Ein Kinderkrippenplatz in der Einrichtung in Ost II wurde nicht benötigt und später erhielten sie in Döbeln Ost II keinen mehr, da alles belegt war. Die Fahrt zum organisierten Kindergartenplatz in Großbauchlitz – nahe der Arbeitsstelle – war ohne eigenes Auto schwierig. Busse fuhren von Ost I zum Hauptbahnhof. Frau Heymann musste früh mit der Tochter nach Ost I laufen. Der Weg führte durch Gärten, wo heute die Kaufhalle Ost II steht.
Im überfüllten Bus gab es meist nur noch Stehplätze. Am Hauptbahnhof ausgestiegen, musste nach Großbauchlitz gelaufen werden, und das alles bei jedem Wetter, Sommer wie Winter, morgens hin und abends zurück.
Wie viel einfacher ist das doch heute, entweder mit dem eigenen Auto oder mit dem Bus, der auch nach Döbeln Ost II fährt und genügend Plätze bietet.

Familie Janisch erinnert sich

1972 feierten viele glückliche AWG-Mitglieder Einzug im Döbelner Neubaugebiet Ost II auf der Fritz-Pawlowski-Straße (heute Nossener Straße). Bei Schlüsselübergabe der Wohnungen war zwar die Straße fertig gebaut, aber es existierte noch kein befestigter Weg zur jeweiligen Haustür. Die Möbel mussten über gelegte Bretter ins Haus transportiert werden. Aber das wurde damals gern so hingenommen. Die Hauptsache war, eine Wohnung erhalten zu haben. Wir waren im Oktober 1972 die ersten und einzigen Mieter im Haus Nr. 13 – bis November. Das war fast gruselig. Es war kalt und wir feuerten erstmals unseren Kohleofen in der Stube an und es qualmte. Noch heute wohnen wir dort. Viel zu schnell ist die Zeit vergangen und wir sind dabei alt geworden – als Urgroßeltern.“