Geschichten aus 60 Jahren WGF
1965–69

Weitere 72 Wohnungen für glückliche AWG Mitglieder

In den Jahren 1965/1966 wurden 2 Wohnblöcke mit insgesamt 72 Wohnungen auf der Albert-Schweitzer-Straße ausschließlich für AWG-Mitglieder gebaut. In den zuerst fertiggestellten Block zogen vor allem AWG-Mitglieder ein, die bei DBM arbeiteten. Der zweite Block war für AWG-Mitglieder aus den Betrieben Rotes Banner, Kraftverkehr, Bahn und Karosseriewerk reserviert.


Döbeln Nord

Es war schon eine interessante Gesprächsrunde als Klaus Hacker, Peter Adler und Bernd Gürtler ihre Erinnerungen zum Bau der beiden Blöcke in der Albert-Schweitzer-Straße in Döbeln Nord austauschten.
Alles begann auf einer großen Ackerfläche und einem Gartenlandstück, was zunächst beseitigt werden musste. Die Erschließungsarbeiten wurden mit minimaler Technik, aber mit viel Muskelkraft mit Spaten und Schaufel vorgenommen. Bei Wind und Wetter wurden die Stunden geleistet – auch hier mit nur einem Ziel: eine eigene Wohnung zu erhalten.
Auf der ehemaligen Tabakanbaufläche stand die Tabakscheune. Sie galt als „Unterkunft“ für die Pausenzeiten. Wenn man sich nach getaner Arbeit etwas stärkte, kam man sich als zukünftiger Nachbar schon etwas näher und so entstand eine eingeschworene Wohngemeinschaft. Und wenn ein paar Krümel auf den Boden fielen, freuten sich die Mäuse und schafften sie weg.

Eigentlich hätte man die Pause auch im Holländerturm verbringen können. Dort gab es als Hauptspeise die traditionelle Bockwurst mit Brötchen. Aber mit der Wirtin gab es ein kleines Problem. Wer den Gastraum betrat, brauchte saubere Schuhe und wir kamen vom Feld – also keine Chance.
Und so ging es Woche für Woche voran. Jeder kam aus einer anderen Richtung. Herr Gürtler wohnte in Hartha und pendelte jeden Abend mit dem Bus hin und her. Herr Adler kam stolz mit seinem Berliner Roller vom Thälmann Platz (heute Niedermarkt) zur Baustelle. An ein Ereignis erinnern sich alle drei:
Es mussten Entwässerungsgraben geschachtet werden, teilweise über 3 Meter tief und durch die nasse Witterung war es unausweichlich – die Wände stürzten ein und alles ging wieder von vorn los. Hacke – Schaufel – Schubkarren und ein endloser Lehmberg, ja so war es …


Einzug

Im April 1966 vor Ostern war es soweit. Es erfolgte die Verlosung der Wohnungen nach den Anteilen an Arbeitsstunden.
Nun war man drin und draußen war strenger Frost und harter Winter. Die Wohnung war bei Ostwind der absolute Eispalast. Die Wände glitzerten mit Eiskristallen. Leider waren die Fenster auch nicht so dicht wie heute. Durch die Plattenbauweise gab es beim Einrichten ein weiteres Problem – kein Nagel ging in die Wand. Aber für die Kinder, die fast in allen Wohnungen eingezogen waren, gab es keine Grenzen und wenig Gefahren. Sie tummelten sich rund ums Haus und waren immer im Blick der Eltern.
Die Gemeinschaft sorgte natürlich gemeinsam dafür, dass es Schritt für Schritt auch im Wohnumfeld voranging. Der legendäre Frühjahrsputz, an dem sich alle beteiligten, trug zur Verschönerung der Außenanlagen bei.

1969 gelang es, unter aktivem Einsatz vom Vorstandsvorsitzenden Herbert Kugler, Grund und Boden für einen Garagenkomplex zu erwerben. Das war für alle stolzen Auto- und Motorradbesitzer ein wesentlicher Fortschritt.

In den Jahren ab 1965 leiteten Herr Herbert Kugler, als Vorstandsvorsitzender und Herr Walter Löffler als Geschäftsführer die vielseitigen und oft schwierigen Aufgaben der AWG Döbeln.

Bereits am 21.11.1963 forderten neue gesetzliche Bestimmungen der DDR bessere Verhältnisse zwischen der Anzahl der AWG-Mitglieder und dem Baugeschehen. Größere Wartezeiten sollten verringert werden. Das bedeutete vorerst einen Eintrittsstopp für Mitglieder in die AWG Döbeln. Weiterhin kam hinzu, dass Wohnungsvergaben nur noch nach städtischen Vergabeplänen und betrieblichem Vorrangbedarf erfolgen durften. Vorher geschah die Vergabe von AWG-Wohnungen nach der Reihenfolge des Eintritts in die AWG, eigenverantwortlich nur durch die AWG.

Die neuen gesetzlichen Bestimmungen setzen bei der Wohnungsvergabe voraus, dass Wohnungssuchende einen Antrag beim städtischen Wohnungsamt abgaben. Dort wurde beraten und festgelegt, wer auf eine Dringlichkeitsliste kam und Wohnraum erhalten durfte.
Viele Betrieben bekamen Wohnungskontingente. Die betriebliche Wohnungskommission beriet und legte fest, welche Kollegin bzw. welcher Kollege eine Wohnung aus dem Kontingent erhalten konnte. Auswahlkriterien waren z. B. Schichtarbeiter, kinderreiche Familien, langjährige und wertvolle Beschäftigte sowie Beschäftigte, die gesellschaftlich aktiv waren und Ausgezeichnete. Um eine AWG-Wohnung zu erhalten, mussten die Ausgewählten aus der städtischen Dringlichkeitsliste und aus den Betrieben dann relativ kurzfristig in die AWG eintreten.


Eine neue Schule

Auf Grund der hohen Nachfrage von Wohnraum in Döbeln war die Erschließung eines weiteren Neubaugebietes dringend notwendig. Im ersten Döbelner Neubaugebiet in Döbeln Ost I konnten ab 1969 die dort wohnenden Schulkinder auch in Döbeln Ost II zur Schule gehen. Die jahrelange Forderung der AWG-Genossenschaftler nach Neubau einer Schule im Wohngebiet wurde Wirklichkeit.
Ab 01. September 1969 wurde die erste Neubauschule in Döbeln nach dem Krieg eingeweiht. Es war eine zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule mit dem Namen „Wilhelm Pieck“. Dazu gehörten auch eine Turnhalle und ein Speisesaalgebäude neben der Schule.


Die Kunst in der WGF

Erinnerungen von Hendrik Löffler

Um die im Stil der damaligen Zeit recht einfach gehaltenen Wohnblöcke etwas zu verschönern, ging man dazu über, diese farbig zu gestalten. So entstand das grüne Haus oder auch der „Papageienblock“, der dreifarbig gestaltet wurde. Diese farbige Putzgestaltung setzte sich aber nicht weiter durch. Nachdem an einem Giebel in der Blumenstraße ein erstes Sgraffito entstand, wurde entschieden, weitere Hauseingänge und Giebel mit diesen Arbeiten zu verschönern. Die ersten Bilder waren noch abstrakte Gebilde aus mehrfarbigen Linien. Später wurde meist an den Giebelsektionen thematische Bilder geschaffen. Diese Themen wurden auch von den Bewohnern als Bezeichnung genutzt.
So entstand zum Beispiel das Schwalbenhaus, der Aquariumblock, der Schachbrettblock, um nur einige zu nennen. Ausgeführt wurden diese anspruchsvollen Arbeiten vom in Döbeln ansässigen Maler und Grafiker Walter Eckhard.

„Für mich als Schuljunge war die Entstehung dieser riesigen Bilder faszinierend. Jede freie Minute nach, aber auch vor der Schule wurde genutzt, um zuzuschauen und zu helfen. Meine Eltern hatten Verständnis für diese Freizeitbeschäftigung und ich war einfach nur begeistert. Das Größte für mich war mit dem Schlingeneisen entsprechende Flächen mit freikratzen zu dürfen, oder mit dem Kratzeisen eine Kratzputzoberfläche herzustellen.“

Die Schaffung dieser Sgraffiti war sehr aufwendig. Nach einem Entwurf im A4-Format und weiteren Detailstudien wurden große Bilder hergestellt, die im Originalformat auf Karton gezeichnet wurden. Die Außenkonturen wurden mit dem Rädel abgefahren und damit perforiert.

„Bei Einbrechen der Dunkelheit wurde der elterliche Haushalt an Kerzen geplündert, um im Kerzenschein auch noch die letzten Reste fertigstellen zu können. Baustrahler gab es keine. Wurde entschieden, die Nacht zu warten und früh zu beginnen, war das die Zeit für mich zumindest von 05:30 bis 07:15 noch einmal auf die Baustelle zu gehen. Dann war Schule angesagt.“

Leider verging die Zeit viel zu schnell. Das Wohngebiet wurde fertiggestellt und Sgraffitoarbeiten in dieser Dimension wurden nicht mehr in Auftrag gegeben. Die Sgraffitoarbeiten fielen der energetischen Giebelsanierung zum Opfer, sind aber las aufgemaltes Bild zum Teil wieder an Giebelflächen der WG Fortschritt heute zu sehen.